Das Wichtigste auf einen Blick:
Bei Soziopathen denken wir vor allem an eiskalte und heimtückische Genies – Hannibal Lecter lässt grüßen. In Film und Fernsehen treiben sie die Handlung voran und erzeugen Spannung. Was auf dem Bildschirm noch für Unterhaltung sorgt, ist im Arbeitsalltag eher eine besorgniserregende Vorstellung. Immerhin haben auch Soziopathen Jobs – oder? Was du in diesem Fall unternehmen kannst, erfährst du hier.
Der Soziopath: Das verstehen wir unter dem Begriff
Das Wort „Soziopath“ beschreibt eine Person, die an einer Verhaltensstörung leidet. Diese äußert sich durch eine Reihe von Verhaltensweisen, die mit den üblichen gesellschaftlichen Normen in Konflikt stehen.
Um welche es sich dabei genau handelt, steht allerdings zur Debatte. Einige schildern Soziopathen als unbeherrschte Außenseiter, andere als charmante Manipulatoren. Einerseits beschreibt man sie als unfähig zu Gefühlen, andererseits sollen sie dennoch durch besonders aggressives Verhalten auffallen. Beides geht natürlich nicht.
Diese Widersprüche haben vor allem eine Ursache: Soziopathie ist lediglich ein Alltagsbegriff. Er lässt sich zwar im Duden nachschlagen, in der Medizin ist er jedoch nahezu irrelevant.
Gibt es Soziopathen überhaupt?
Ja und nein. Zwar hat der Begriff des Soziopathen einen medizinischen Ursprung, diese Sichtweise ist jedoch längst überholt. Weder der ICD-10 noch der DSM-5 – die zwei wichtigsten offiziellen Verzeichnisse bekannter Krankheiten – führen Soziopathie als Diagnosemöglichkeit an. Es handelt sich also nicht um ein offizielles Krankheitsbild. Weder Ärzte noch Psychologen können Soziopathie tatsächlich feststellen.
Außerhalb der Medizin besteht der Begriff in der Alltagssprache fort – im Fernsehen, in Romanen oder bei Gesprächen im Pausenraum. Je mehr wir über Soziopathen sprechen, desto größere Ungenauigkeiten schleichen sich letzten Endes ein.
Alternative Modelle: Soziopathen in der Medizin
Trotzdem existieren anerkannte Krankheitsbilder, die vieles mit den Vorstellungen über Soziopathen gemein haben. Insbesondere zwei Verhaltensstörungen bieten sich in diesem Zusammenhang an: die antisoziale Persönlichkeitsstörung und die Psychopathie.
Die antisoziale Persönlichkeitsstörung
Die antisoziale Persönlichkeitsstörung – oder abgekürzt APS – umfasst eine ganze Reihe von Symptomen und Verhaltensweisen, die fälschlicherweise Soziopathen zugesprochen werden. Der ICD-10 beschränkt sich dabei auf sechs Symptome. Für eine Diagnose müssen mindestens drei dieser Verhaltensweisen vorliegen:
- fehlendes Einfühlungsvermögen
- geringes Schuldbewusstsein, Gewissenlosigkeit, Verantwortungslosigkeit
- Probleme, langfristig Beziehungen aufrechtzuerhalten
- Missachtung von Regeln und sozialen Normen
- mangelnde Frustrationstoleranz, dafür erhöhte Neigung zu aggressivem Verhalten
- Tendenz, die eigene Schuld zu erklären, zu relativieren oder anderen zuzusprechen
Symptome im DSM-5
Der DMS-5 beschreibt ähnliche Verhaltensmuster, erweitert die Symptome jedoch um einige Zusatzbedingungen:
- wiederholte Gesetzesbrüche und Festnahmen
- Tendenz zum Lügen
- Impulsivität
- aggressives Verhalten und geringe Hemmschwelle zur Gewalttätigkeit
- Fahrlässigkeit
- lange Zeiträume ohne Arbeitsverhältnis
- fehlendes Schuldbewusstsein
Der DSM-5 setzt außerdem ein Mindestalter von 18 Jahren voraus. Auffälliges Verhalten muss mindestens drei Jahre zurückverfolgt werden können – also bis ins 15. Lebensjahr.
Subtypen der antisozialen Persönlichkeitsstörung
Auch hier lassen sich zum Teil entgegengesetzte Verhaltensweisen feststellen. Die Medizin erklärt sie jedoch durch verschiedene Ausformungen der Krankheit. Dabei werden bestimmte Symptome nach Gemeinsamkeiten geordnet, aus denen sich wiederum bestimmte Profile ergeben – die sogenannten Subtypen.
Instrumentell-dissozialer Subtyp
- habgierig
- starkes Interesse an eigenem Machtgewinn
- oberflächlicher Charme
- Fehlen von Einfühlungsvermögen, Angst und Schuldbewusstsein
- imitiert menschliche Verhaltensweisen, um zu manipulieren
- übersteigertes Selbstbewusstsein
Impulsiv-feindseliger Subtyp
- impulsiv
- aggressiv
- leicht zu provozieren
- geringe Frustrationstoleranz
- Tendenz zu paranoidem Verhalten
Ängstlich-aggressiver Subtyp
- anfällig für Depressionen und Angststörungen
- defensiv
- im Vergleich zu den anderen Subtypen eher unscheinbar
- neigt bei Bedrohung zu unberechenbarer Gewalt
Ursachen der APS-Erkrankung
Antisoziale Störungen hängen in der Regel von drei Faktoren ab. Sie treten sowohl vereinzelt als auch gleichzeitig auf. Gründe sind zu suchen in:
- genetischen Defekten,
- Fehlbildungen oder Verletzungen bestimmter Hirnregionen
- sowie sozialen Faktoren (familiäre Umstände, Traumata und Erfahrungen mit Gewalt).
Psychopathie: Hochfunktionale Psychopathen
Sogenannte hochfunktionale Psychopathen zeichnen sich vor allem durch ihren starken Hang zur Manipulation und Gewinnsucht aus. Mitleid oder Schuld empfinden sie entweder nur eingeschränkt oder sogar überhaupt nicht.
Trotzdem fallen sie im Gegensatz zu APS-Erkrankten seltener negativ auf, da sie das Verhalten ihrer Mitmenschen sehr erfolgreich nachahmen. Hochfunktionale Psychopathen gehen völlig normalen Jobs nach und leben ein durchschnittliches Leben.
Bei 20 Prozent aller APS-Patienten lassen sich Eigenschaften der Psychopathie nachweisen. Dabei handelt sich allerdings nicht um 100 Prozent aller Psychopathen – es gibt sowohl Psychopathen mit als auch ohne APS-Erkrankung.
Antisozial-deviante Psychopathen
Neben diesen hochfunktionalen Psychopathen gibt es eine weitere Gruppe, die als antisozial-deviant bezeichnet wird. Die Betroffenen verhalten sich impulsiv, enorm aggressiv und geraten regelmäßig mit dem Gesetz in Konflikt. Sie halten sich daher überdurchschnittlich oft in Gefängnissen und Heilanstalten auf.
Bei 15 Prozent aller Häftlinge lassen sich Merkmale der Psychopathie nachweisen – der Anteil an der Gesamtbevölkerung wird hingegen gerade einmal auf 4 Prozent geschätzt. Auch die Rückfallquote spricht in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Sie liegt für gewaltbereite Straftäter bei 80 Prozent, ohne Erkrankung jedoch gerade einmal bei 31 Prozent.
Ursachen für Psychopathie
APS und Psychopathie weisen zwar Ähnlichkeiten auf, unterscheiden sich aber im Bereich der Erkrankungsursachen. Im Gegensatz zu APS lässt sich Psychopathie nahezu ausschließlich auf körperliche Merkmale zurückführen. Soziale Faktoren spielen – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Als Hauptauslöser gelten hormonelle Fehlregulierungen und die Unterentwicklung bestimmter Hirnregionen.
Die Symptome äußern sich zwar durch das Verhalten des Psychopathen, liegen eigentlich aber noch tiefer begründet. Ihr gesamter Charakter ist ein Produkt der Störung – oft von frühster Kindheit an.
APS und Psychopathie: Wie sinnvoll ist eine Therapie?
Beide Störungen lassen sich – bedingt durch das Verhalten des Patienten – nur schwer therapieren. Das gilt insbesondere für Psychopathen. Sie betrachten jede potentielle Hilfe als feindseligen Angriff.
Psychopathen sind geschickte Schauspieler – sie begreifen sofort, was ihr Gegenüber hören will. Daher kann sich ein Psychiater nie vollkommen sicher sein, dass sein Patient wirklich geheilt ist.
So arbeiten Soziopathen
Psychopathie und APS unterscheiden sich im Grunde nur in Detailfragen. Für Außenstehende reicht es daher überwiegend aus, Psychopathen und APS-Kranke als Soziopathen zusammenzufassen – vor allem, wenn es um ganz alltägliche Fragen geht. Im Berufs- und Privatleben können dir potentiell drei Typen von Soziopathen begegnen.
Typ 1: Der Intrigant
Soziopathen neigen vor allem zu Extremen. Während einige die Karriereleiter rasend schnell hinaufsteigen, scheitern andere bereits an der Probezeit.
Vor allem hochfunktionale Psychopathen und Instrumentell-dissoziale Fälle von APS neigen dazu, Führungspositionen in Unternehmen zu besetzen. Sie verbreiten gezielt Gerüchte und spielen andere gegeneinander aus. So sichern sie sich ihre Stellung im Unternehmen. Im Konkurrenzkampf nutzen sie alle Schwächen des Gegners aus – oft sogar am Rande der Legalität. Falls ihre Kollegen dabei überhaupt etwas bemerken, können sie dem Soziopathen oft nicht das Geringste nachweisen.
Kommt der Soziopath erst in der Chefetage an, ist er kaum mehr jemandem Rechenschaft schuldig. Dann kann es sogar vorkommen, dass er sich zum waschechten Tyrannen entwickelt.
Typ 2: Der Querulant
Je impulsiver und aggressiver der Soziopath veranlagt ist, desto größere Schwierigkeiten bringt das Berufsleben in der Regel für ihn mit. Besonders impulsiv-feindselige Subtypen neigen dazu, ihren Arbeitgeber wiederholt zu wechseln.
Meistens dauert es nicht lange bis zum ersten größeren Konflikt. Der Soziopath versteht bereits freundliche Hinweise als Angriff oder sogar als Drohung. Am Ende eskaliert die Situation und der Mitarbeiter erhält eine verhaltensbedingte Kündigung. Diese Situation wiederholt sich oft unzählige Male – an vielen unterschiedlichen Arbeitsplätzen.
Typ 3: Der Problemfall
Mitunter kommt es auch vor, dass Soziopathen lange vor einer Berufslaufbahn inhaftiert werden. Das trifft vor allem auf antisozial-deviante Psychopathen zu. Diese ecken nicht nur an, sie stellen auch eine Gefahr für ihre Mitmenschen dar – und können daher unmöglich als Teil der Gesellschaft funktionieren.
Statt einer Karriere beginnen sie bereits früh kriminelle Laufbahnen, landen in Gefängnissen oder geschlossenen Anstalten. Selbst nach einer Entlassung fällt es vielen schwer, eine Anstellung zu finden. In der Arbeitswelt stellen diese Soziopathen also überwiegend eine Seltenheit dar.
Soziopathen am Arbeitsplatz erkennen
Der Bevölkerungsanteil von Soziopathen liegt bei etwa 4 bis 5 Prozent. Die Wenigen, die es in die Berufstätigkeit schaffen, verhalten sich jedoch überwiegend unauffällig. Vor allem bei hochfunktionalen Psychopathen handelt es sich um wahre Meister der Tarnung.
Um einen Soziopathen zu identifizieren, müssen grundsätzlich mehrere Symptome vorliegen. Das erschwert eine Beurteilung vor allem für Laien. Eine fachkundige Beurteilung verlangt daher nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern einen fachkundigen Arzt.
Soziopathie ist nicht nur schwer festzustellen, sondern stellt auch eine folgenreiche Beschuldigung dar – schließlich sind Soziopathen mitunter eine Gefahr für sich und ihre Mitmenschen. Mit ungesicherten Behauptungen gehst du also am besten sehr vorsichtig um. Im Zweifel für den Angeklagten ist hier sicher ein guter und vor allem fairer Leitsatz.
Auf Konfrontationskurs: Soziopathen enttarnen?
Es kann natürlich vorkommen, dass du einen Soziopathen als solchen erkennst. Aber wie sinnvoll ist es, ihn darauf anzusprechen? Im Grunde gibt es hier drei mögliche Szenarien:
- Du hast mit deiner Vermutung unrecht und unterstellst jemandem, ein Soziopath zu sein. Im schlimmsten Fall fasst er die Aussage als Verleumdung auf. Dann handelst du dir womöglich großen Ärger ein.
- Deine Aussage trifft zu. Den Soziopathen lässt das allerdings kalt. Stattdessen verhält er sich defensiv und bezichtigt dich der Lüge, der Beleidigung, der Verleumdung. Das gilt im Zweifelsfall sogar als berechtigter Grund zur Abmahnung. So erklärt sich dein Kollege im Handumdrehen zum Opfer – und dich zum Täter.
- Deine Aussage trifft zu. Du hast den Soziopathen entlarvt. Allerdings handelt es sich nicht um einen Intriganten, sondern um einen hoch aggressiven Psychopathen. Seine Reaktion ist nicht nur schwer einzuschätzen, von ihm geht sogar eine potentielle Gefahr aus.
Ein offener Vorwurf lässt sich nicht beweisen und ist in vielerlei Hinsicht riskant. Im Grunde kannst du hier nur verlieren. Daher solltest du solche Vermutungen lieber für dich behalten.
Erfolgreiche Taktiken
Der beste Trick im Umgang mit Soziopathen lautet grundsätzlich: Ruhe bewahren und höflich bleiben. Das gilt vor allem für Streitgespräche. Soziopathen lassen Situationen nämlich mit Vorliebe eskalieren. Sobald sich ihr Gegenüber im Ton vergreift, drehen sie den Spieß um und schieben dir die Schuld zu.
Selbst wenn seine Anschuldigung frei erfunden sind – Soziopathen lügen ohne jedes Schamgefühl und können sehr überzeugend sein. Konflikte dieser Art klärst du am besten im Beisein anderer. So gibt es Zeugen für das Gespräch und der Soziopath muss bei der Wahrheit bleiben.
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